1

„Ich war mein Leben lang ein Kneipenclown“ – zum Tod von Karl Dall

von MARK ZELLER

Komiker, Schauspieler, Moderator, Sänger und vor allem Unikum – mit Karl Dall starb am Montag einer der letzten zeitlosen deutschen Unterhaltungskünstler. Berlin war lange Jahre Zentrum seines Schaffens – und verdankt ihm seine inoffizielle Hymne.

Im Journalistenleben gibt es Anlässe, die einem schon lange vorher ein vorfreudiges Lächeln auf die damit verbundene Arbeit entlocken. Einer davon war Karl Dalls 80. Geburtstag Anfang Februar. Nun steht hier ein anderer Text, denn der unverwüstliche Unterhaltungskünstler hat zu früh auch sein zweites Auge geschlossen.

Ein hängendes Auge, das war zeitlebens das Markenzeichen des gebürtigen Ostfriesen. Aus der Stigmatisierung durch seine angeborene Lidmuskelschwäche machte er ein mimisches Alleinstellungsmerkmal und inszenierte es in Verbindung mit seinem „Sprachfehler“ – einem eigentümlich backengepressten Zischlaut anstelle eines „s“ – zu seinem künstlerischen Aushängeschild. Damit bereicherte er das Showgeschäft fast 60(!) Jahre lang in TV-Shows, Kino-Filmen oder auf Konzertbühnen und spielte dabei immer nur eine Rolle: Karl Dall.

1963, mit Anfang 20, zog es ihn aus dem hohen Nordwesten nach Berlin, wo er für mehr als 30 Jahre lang sesshaft werden sollte. Hier heiratete er auch seine Barbara, mit der er im kommenden Jahr Goldene Hochzeit gefeiert hätte, hier wurde seine Tochter Janina geboren. In seine Berliner Zeit fiel auch sein Aufstieg zur omnipräsenten Figur des seinerzeit boomenden Fernsehens. 1967 gründete er mit Ingo Insterburg die musikalische Komödiantengruppe „Insterburg & Co“ und revolutionierte mit deren „Kunst des höheren Blödsinns“ sowohl die Musik- als auch die Komik-Branche.

Kunst- und Comedy-Revolution von Berlin aus

Damit wurden sie so etwas, wie die Urväter der deutschen Stand-up-Comedy – lange, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Ihr 70er-Jahre-Hit „Ich liebte ein Mädchen“ wurde zum Evergreen und zur inoffiziellen (West-)Berliner Hymne. Dank seiner eingängigen Reim-Schemata wussten seitdem auch die Menschen aus anderen Teilen der Republik, in welchen Stadt-Bezirken die Berliner Mädchen „die Bude kalt“ (Grunewald), „Gebäck und Tee“ (Heiligensee) oder „Ohren wie Segel“ (Tegel) hatten. 

Und entsprechend einer weiteren Liedzeile „dann wurde es mir in Berlin zu klein, drum zog ich in ganz Deutschland ein“ erweiterte auch Dall seinen künstlerischen Radius und startete nach der Auflösung der Truppe Ende der Siebziger Jahre seine Solokarriere. Schnell etablierte er sich als nicht mehr weg zu denkender Bestandteil erfolgreicher TV-Shows wie „Plattenküche“ oder „Verstehen Sie Spaß?“, in denen er in seiner Paraderolle als liebenswerter Chaot zum heimlichen Star der Sendung avancierte.

Folgerichtig bekam er Mitte der Achtziger Jahre mit „Dall-As“ sein eigenes, auf ihn zugeschnittenes TV-Format (bei RTLplus). Im Gewand einer Talkrunde wurden wechselnde Gäste dem schlagfertigen Wahl-Berliner zum medialen Fraß vorgeworfen, was manchem nicht gut bekam: Legendär etwa der Auftritt (oder besser: Abgang) Roland Kaisers, der wütend die Sendung verließ, nachdem Dall ihn aufgefordert hatte: „Na, sing schon mal, damit wir es hinter uns haben.“

Wegbereiter des Privat-Fernsehens

Damit etablierte er auch den „Krawall-Talk“ im deutschen Fernsehen und setze ihn Anfang der Neunziger Jahre mit „Jux und Dallerei“ (Sat. 1) fort. Überhaupt trug er wesentlich zum seinerzeitigen Aufstieg des Privatfernsehens bei, ob als Abendshow-Moderator von „Koffer Hoffer“ (Tele 5) oder als Gründungsmitglied des Satire-Show-Teams „7 Tage, 7 Köpfe“ (RTL).

Auch in Sachen Schauspielerei und Musik blieb Dall umtriebig. Während allerdings Filme wie „Gib Gas – Ich will Spaß“, „Dirndljagd am Kilimandscharo“ oder „Sunshine Reggae auf Ibiza“ bestenfalls als schlüpfrige Achtziger Jahre-Relikte in Erinnerung geblieben sind, erfreuen sich viele seiner Songs ungebrochener Popularität. „Diese Scheibe ist ein Hit“ etwa dürfte die erste satirische „Abrechnung“ eines Künstlers mit dem Pop-Geschäft gewesen sein, nicht weniger selbstironisch der liedgewordenen Stoß-Seufzer aller frustrierten Ehemänner: „Millionen Frauen lieben mich“. Und das schmissige „Heute schütte ich mich zu“ darf als augenzwinkernde Zündladung auf keiner Party oder Auswärtstour fehlen.

Apropos Augenzwinkern: Dalls wahrscheinlich größtes Erfolgsgeheimnis war, dass er sich selbst und das Show-Business, das er über viele Jahrzehnte maßgeblich prägte, nicht zu ernst nahm. Mehr noch, er zeigte allen: Auch und besonders mit „Fehlern“ kann man liebenswert sein. Seine besondere Mimik und Sprache waren die äußeren Merkmale dafür. Das ließ ihn nahbar werden. Und genau so hat er sich selbst immer verstanden. („Ich war mein Leben lang ein Kneipenclown.“)

Medialer Stimmungsaufheller

Und so war Dall bis zum Schluss künstlerisch gefragt. Erst in diesem Monat startete sein Engagement für die ARD-Serie „Rote Rosen“, während der Dreharbeiten erlitt er einen Schlaganfall, an dessen Folgen er nun starb. Bittersüße Randnotiz: Wer seine Website aufruft, liest noch auf der Homepage immer noch in großen Lettern: „Ein Abschied? Nein, kein Ende in Sicht! Nun stehe ich wieder verstärkt vor der TV-Kamera.“ Leider wissen wir es nun besser.

Es ist ein Abschied. Einer, der weh tut. Abschied von einem medialen Stimmungsaufheller, von einem, der immer da war. Einen, für den man als Kind Samstagabends länger aufgeblieben ist, und dessen Lieder heute die eigene vierjährige Tochter voller Inbrunst mitsingt. Einer, der stellvertretend für eine Zeit steht, in der Klamauk noch herrlich unverkrampft sein konnte, frei von moralingetränkten Zeigefingern und „Haltungs“-Richtlinien.

Mit Karl Dall geht ein führender Vertreter jener Künstler, die wirklich noch alles durften – weil sie es sich herausnahmen. Weil sie Neuland betraten. Das war nicht immer nur geschmackvoll. Aber es war immer echt! Und auch, wenn Dall schon seit längerer Zeit wieder in Norddeutschland lebte, verliert die Berliner Künstler-Szene mit ihm eine ihrer prägendsten Figuren.

Eine vielzitierter Ausspruch Dalls lautet: „Ich gebe meine Neurosen…auf der Bühne an das Publikum weiter. Die Leute bezahlen dafür und gehen dann mit meinen Problemen nach Hause.“ Deine „Probleme“ werden uns fehlen. Und wenn unsere eigenen nicht mithalten, wirst Du bestimmt von oben ein Auge zudrücken… . Danke, Karl und Ruhe in Frieden!